Lili Murati by Dress the Double

Zutaten westlicher Welt, Schweizer Köche, Maschinen aus aller Welt, genau dosierte Garzeiten und Temperaturen, Besteck, siebzehn Gänge, unendlich viele Pausen, genauso viele Formen, ein Verlauf, angenehme Beleuchtung, einfaches Porzellan. Eine hervorragend organisierte Küche für Dress The Double. Freunde, macht es Euch bequem. Polizeistunde war gestern.
(01) Glühbirne auf liegendem Quader von 1968. Techno. Beyoncé ganz aus Licht. Kann Kunst sich selbst bewachen? Der Einsatz von Schaufelbergers Gitarre gibt Orientierung. Das Trio tut kurz noch hörspielerisch. Irgendwie 1968. Schlagzeuger Ulrich schleicht sich auf die Bühne. Schnell macht er Druck. Bassist Gisler reagiert scheinbar auf Beyoncé und folgend erobert das Quintett schnell Territorium. Alles springt ins Heute. Der Diskurs entpuppt sich als achtsam und präzise. Alles passiert ungefähr gleichzeitig, mündet im Formantenchaos der Sängerin Leslie Leon. (02) Dann spielt Jimmy, der Schlagzeuger, Trompete. Anwesende Genießer:innen fragen sich, warum und warum so schön. Sie kommen zu verschiedenen Ergebnissen. Die Sängerin bleibt heiter sinnend übrig. (03) Weiter spricht man über Geschäfte, Geld und Politik. Der Gesang tönt wie aus dem aufgelassenen Fenster einer hochschulischen Übezelle in einer einst zerbombten Stadt. Cage lässt nach Jahren eine Pfeife wechseln. Kein Publikum. Hendrix spielt immer noch Trompete. Drums und Bass erzeugen den Soundtrack einer mexikanisch produzierten Serie über das Alltagsleben eines grimmigen Untercover-Agenten (Single). Jemanden ausreden lassen (04) Es folgt a composed talk. Fünf Musiker in einem Lokal. Alle rauchen. Sie selbst nicht. Sie hören dem laut-leise-heiseren Gerede zu und ordnen, filtern es augenblicklich zum Gespräch im blauen Salon. Ein Versuch zur Meinungsbildung ist nicht erkennbar. Aus der Tiefe musikhistorischer Verwurzelung wird das zufällig Gehörte neu vernetzt. So dicht, so fein, so selten. (05) Nun ein musikalisches Beschwörungsritual It’s the music, It’s the Singer, it’s the song. Die Perspektive von der Bühne aus. Mir scheint, als würden wir hier den Gedärmen und geheimsten Gedanken einer Sängerin zuhören, während sie die Donnerarie zum hundertsten Mal in Salzburg singt. Sogar die Schleifen des Thomas Bernhard sind präsent. (06) Shibari: eine erotische Kunst des Fesselns. In der Kneipe wird es immer lauter. Erfahrenes Nachtvolk dominiert die Szene. Drums, Bass, Gitarre lassen New York vor der Zeit des grässlichen Bürgermeisters entstehen. Dunkler Club. Es gibt höchstens Bier. Es geht um Musik hören. Gegenstand: Lady Gaga als kleistsche Marionette. Shibari: Robert Wilson (dictates every moment): „she is capable of changing character at an alarming speed. (07) Du bist auf, du bist in, du bist an…: Die Love Parade in Berlin. Nur die Hum-tz, Hum-Tz der Trucks fehlen. Alles andere ist hörbar. Staubtrockenes Gewimmel. Köstlich. Genau so war es immer. Techno tönt dich leer. Tanzen zusammen mit hunderttausend Menschen nicht. Du tust exakt das Falsche. (08) Silence dagegen entwickelt glücklich machende Grooves mit Belcanto. Cages Experiment im schalltoten Raum müssen wir uns bitte so vorstellen. Der Humor des Gottvater moderner Komposition ist hörbar. Sogar noch mehr als in der Halberstädtischen Kirche. Immerhin sind wir alle Amerikaner (09) Jetzt lernen wir die Musik mit den Zähnen hören. Nochmal 1968. Ich sag jetzt nicht „der junge Elvin Jones“. Der hat an…(10) … mehr geglaubt. Jedenfalls! Muss so gewesen sein! Glaubst Du noch an Swing? Nein? Ab jetzt aber. (11) Nun, einer sabbernd quiekenden Fischaugenmaschine mit krakig- glitschigen Armen ansichtig, schlingert das Quintett durch alles bisherige. Tiefpassfilter im Mund der singenden Frau flitzen durchs Bild. (12) Den Song Street musicians Inc will ich dann pausenlos auf der Straße hören. Leider ist sowas zu teuer für’s Einkaufszentrum. Geht auf die Straße! (13) …muss gerufen werden. Es flüstert: „Es läuft“… Mouthon stochert, fetzt, loopt „Es läuft“…, quasi koital, aber entspannt - mit Erfahrung. Wirklich alles kann passieren. Auch die Fender- Licks beim jungen Johnny Cash. Also wirklich nicht jugendfrei. Zwischendurch und dabei: eine Zigarette. Guter Wein. Es folgt bissl De Sade vorlesen. Dann wieder los unter Nachdenkern, aber sehr sinnlich. Ich kann nicht anders: wirklich nichts weniger als maximal fröhliches Beisammensein, wenn ich ehrlich sein soll. (14) Der folgend ausgelöste Assoziationsreichtum ist nur für Geübte. Mouthon singt mit zarter Gitarre „It started with a machine“ und schon rennt alles los im Kopf. Die Maschinen jagen sich. Kontrapunkt. Metronome, automatische Orgeln, Plattenspieler, englische Standuhren. Der Kuckuck meldet irgendeine Zeit. Dann welkt irgendwas in Richtung neue Musik der Sechziger. Beruhigend. (15) Vortrag über nichts. Um zu wissen, wo sie hinfährt, muss sie wollen, was sie erlebt. Reisen ohne Begleitung heißt immer auch Anhängerinnen abschütteln. Gar nicht unter Leuten zu sein, setzt strikte Häuslichkeit voraus. Wenn Er dagegen wünscht irgendwo zu sein, wird Sie sofort inkompatibel. Drums und Bass tun überwiegend so, als wüssten sie wo Frankfurt liegt. Karten hat es nie gegeben. (16) Keine Ahnung, ob es Reisbauern in Südkorea gibt. Ich dachte die bauen Autos und Chips und so Zeug. Der Bauer wird behauptet, irgendwo an der Grenze zu den bösen Nachbarn. Popmusik im Feindesland! (17) Was hat Johnny Rotten mit den Pet Shop Boys zu tun? Sie stehen zusammen auf einer Zeitachse äußerst einflussreicher Künstler. Punk und Elektropop sind in diesem Stück nur seltene Erden. Der Klangkörper funktioniert als fünfmägiger Wiederkäuer. Emissionsfrei. Erfreulich zukunftsfähig.

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